Liebe Leserin, lieber Leser,
pünktlich zum Ende der Herbsferien nun der dritte Newsletter.
Die Themen im Überblick:
- Pilotprojekt Arbeitsplatzgarantie in Österreich
- Umgehung der Schuldenbremse
- MMT ≠ monetäre Staatsfinanzierung
- ATTAC beschäftigt sich mit der MMT
- Veranstaltungshinweise
- Neue Artikel zum Thema öffentliche Daseinsvorsorge, Schuldentragfähigkeit und Vollgeldreformen
- Aus dem Archiv: Die Grundidee einer Jobgarantie
Viel Spaß mit dem Newsletter!
Herzlich,
Maurice und Dirk
PS: Wenn Du wirtschaftspolitische Nachrichten und Entscheidungen gerne aus MMT-Sicht eingeordnet haben möchtest, dann schreibt uns dazu gerne jederzeit per Mail, FB oder Twitter. Die Einordnung nehmen wir dann sehr gerne in den nächsten Newsletter auf.
Pilotprojekt Arbeitsplatzgarantie in Niederösterreich
In Österreich startet ein spannendes Pilotprojekt: Eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose in der Gemeinde Gramatneusied. Allen aktuellen und allen bis 2023 neu dazukommenden Langzeitarbeitslosen in Gramatneusiedl macht die Arbeitsagentur Niederösterreich ein Jobangebot mit einem staatlich finanzierten Job. Das Konzept ähnelt dem von Oliver Picek für Österreich hier vorgestellten Konzept einer Jobgarantie für Langzeitarbeitslose.
Im oben verlinkten Text heißt es: „Zusätzliche Arbeitsplätze werden im gemeinnützigen Bereich und in marktwirtschaftlichen Unternehmen geschaffen und finanziert. Zunächst erarbeiten die Teilnehmer einen persönlichen Perspektivenplan in einem Einstiegskurs. Unternehmen, die bereit sind, neue Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose zu schaffen, werden mit bis zu 100-prozentiger Lohnkostenförderung unterstützt. Die Projektteilnehmer werden auch während eines regulären Dienstverhältnisses vom AMS begleitet, wenn es notwendig ist. Für alle, die keinen Betrieb finden, werden Dienstverhältnisse im gemeinnützigen Bereich geschaffen. Die Forscher der Universität Oxford und der Universität Wien führen begleitend mehrere unabhängige Studien über die ökonomischen, sozialen und gesundheitlichen Auswirkungen auf Langzeitarbeitslose sowie mögliche Übertragungseffekte auf den Arbeitsmarkt durch.“.
Klar ist: Die Langzeitarbeitslosigkeit in der Gemeinde mit 3.600 Einwohnern wird dadurch sinken und die anschließende Evaluierung des Programms wird interessante Erkenntnisse ergeben. Von einer Jobgarantie, wie sie von MMT-Vertretern vorgeschlagen wird, unterscheidet sich das Pilotprojekt allerdings in zwei Punkten. Zum einen ist der Fokus regional und auf Langzeitarbeitslose beschränkt und damit nicht wirklich universell. Zum anderen sehen die MMT-Konzepte ausschließlich die Schaffung von gemeinwohlorientierten Jobs im öffentlichen Sektor und im Non-Profit-Bereich vor. Eine Subvention von Stellen im profitorientierten Privatsektor, wie im Pilotprojekt vorgesehen, wird abgelehnt.
Am Ende des Newsletters findest Du noch einen Artikel zur Vorstellung der Grundidee einer Jobgarantie aus MMT-Perspektive.
Umgehung der Schuldenbremse
Ein neues Gutachten des IMK beschäftigt sich mit der Frage, wie die Schuldenbremse zwecks Ausweitung öffentlicher Investitionen verfassungskonform umgangen werden kann. Die Lücke in der Schuldenbremse ist, dass diese sich nur auf den direkten öffentlichen Haushalt bezieht und eine unbegrenzte Kreditaufnahme für staatliche Unternehmensbeteiligungen nicht ausschließt. Das Gutachten schlägt dazu die Gründung Öffentlicher Investitionsgesellschaften (ÖIG) vor. Solche ÖIG sind rechtlich selbständige Gesellschaften des Bundes in öffentlich-rechtlicher oder privatwirtschaftlicher Rechtsform, die eine staatliche Investitionsaufgabe übernehmen. Um diese Aufgabe zu erfüllen, können ÖIGs – ähnlich wie Öffentlich-Privaten-Partnerschaften (ÖPP) – Kredite bei Geschäftsbanken aufnehmen. Um günstigere Kreditkonditionen zu erhalten, könnte diese Gesellschaften mit Staatsgarantien abgesichert werden. Aus makroökonomischer Sicht ist eine Umgehung der Schuldenbremse (und der restriktiven europäischen Fiskalregeln, falls diese wieder eingesetzt werden) absolut sinnvoll. Die Schaffung von ÖIGs ist dafür ein möglicher Weg. Der demokratisch wünschenswerte Weg wäre allerdings eher die Aufklärung über das Geldsystem und über die Wirkung der Schuldenbremse zwecks Gewinnung politischer Mehrheiten für eine Abschaffung der Schuldenbremse aus dem deutschen Grundgesetz. Die Coronakrise ist gerwiss nicht das schlechteste Zeitfenster, um eine Aufklärungskampagne über die Schuldenbremse im öffentlichen Diskurs zu platzieren.
MMT ≠ monetäre Staatsfinanzierung
Immer wieder wird in Artikel oder auch in Diskussionen behauptet, dass die MMT mit der Forderung nach „monetärer Staatsfinanzierung“ gleichzusetzen sei. Das ist so nicht korrekt. Die MMT ist eine ökonomische Linse, die das Geldsystem in seiner derzeitigen institutionellen Ausgestaltung beschreibt. Ob das Finanzministerium sein Konto bei der Zentralbank überziehen darf, ob es Anleihen direkt an die Zentralbank verkauft oder ob es sich Zentralbankguthaben über den Umweg der Geschäftsbanken (die sich das Zentralbankgeld wiederum von der Zentralbank besorgen) beschafft, um Ausgaben zu tätigen, ist funktional irrelevant. Damit ist gemeint, dass die Bilanzeffekte am Ende der Staatsausgaben fast identisch aussehen. Das Finanzministerium verringert sein Nettofinanzvermögen, der Zahlungsempfänger erhählt ein erhöhtes Nettofinanzvermögen und die Bank verlängert ihre Bilanz (Giralgeldschöpfung), indem sie auf der Vermögensseite mehr Zentralbankguthaben (Fall 1 und 2) oder mehr Staatsanleihen (Fall 3) und auf der Kapitalseite mehr Girokontoguthaben verbucht. Das Finanzministerium gibt dabei immer Zentralbankguthaben aus, die originär logischerweise nur von der Zentralbank kommen können.
ATTAC beschäftigt sich mit der MMT
Die Tatsache, dass in der €-Zone der Umweg über die Banken genommen wird, verschafft den Banken eine priviligierte Position, denn sie können so risikoarme Profite mit den Staatsanleihen machen. Derzeit sind sie sogar quasi risikolos, weil die EZB mit ihrem Anleihekaufprogrammen (u.a. dem pandemiebedingten PEPP-Programm, das bald wohl nochmal ausgeweitet werden soll) faktisch die Solvenz der Anleihen garantiert. Das kann die EZB in unbegrenzter Höhe machen. Schon eine ausgesprochene Garantie, dass die EZB als „Buyer of Last Resort“ im Zweifel alle Staatsanleihen der €-Länder in die eigene Bilanz nehmen würde, würde die Anleihen risikolos werden lassen. Ob man dann weiterhin den Umweg über die Geschäftsbanken geht und diese damit subventioniert, ist eine politische Entscheidung, die aber für die Funktionsweise der Staatsausgaben von keiner hohen Bedeutung ist.