Wynne Godleys großer Verdienst war es, das Verhalten einzelner Akteure zusammen mit sektoralen Bilanzen für die Vorhersage makroökonomischer Entwicklungen nutzbar zu machen.
1998, zehn Jahre vor der großen Finanzkrise, gehörte er zu den Ersten, die vor der Unausgewogenheit der Weltwirtschaft warnten, die durch die wachsende Verschuldung der Privathaushalte in den USA nicht mehr aufzuhalten sei. Schon lange zuvor, noch in seiner Zeit im britischen Finanzministerium, hatte der eigenwillige Ökonom und Oboist Wynne Godley wegen solcher Warnungen vor drohenden Wirtschaftskrisen Bekanntheit als »Kassandra aus dem Fens« erlangt. Auch in seinen späteren Jahren an der Universität von Cambridge und zum Ende seiner Karriere am Levy Institute in New York blieb seine Spezialität das »forecasting«, die Konjunkturvorhersage.
Durch seine Geschicklichkeit mit Zahlen und später mit Computern machte er sich einen Namen. Relevant war seine Arbeit in der angewandten wirtschaftspolitischen Beratung. Wie hoch sollten die Staatsausgaben sein, um Vollbeschäftigung zu erreichen? Die Politik wollte eine Antwort auf diese Frage und Godley als »einer der fähigsten Ökonomen der Regierung« war derjenige, der kontaktiert wurde.
Eine 2019 erschienene Biographie von Alan Shipman beleuchtet das Leben des 2010 verstorbenen Wynne Godley. Neben zahlreichen Anekdoten gibt das in englischer Sprache erschienene Buch Auskunft darüber, an welcher Stelle die westlichen Gesellschaften falsch abgebogen sind. Die heutigen Fehlentwicklungen beruhen auf einem dogmatischen Vertrauen in Marktprozesse, die uns von einer Krise in die andere führen. Godley hatte verstanden, dass der Staat aus makroökonomischer Sicht eine zentrale Rolle spielt.
Seinen Heureka-Moment hatte Godley 1974 im regen Austausch mit Nicholas Kaldor und Robert Neild. Er erkannte, dass die Ökonomie in drei Teile aufgeteilt werden kann. Der private Sektor umfasst Haushalte und Unternehmen, der öffentliche Sektor den Staat und der externe Sektor den Rest der Welt. Zentral ist, dass einer dieser Sektoren nur dann sparen kann, wenn sich mindestens einer der anderen Sektoren verschuldet. Sparen ist dabei definiert als das Erzielen eines Einkommensüberschusses: Die Einnahmen übersteigen die Ausgaben. Das kann logischerweise nur dann der Fall sein, wenn im Rest der Wirtschaft die Ausgaben die Einnahmen übersteigen. Schließlich führen Ausgaben immer zu Einkommen. Wenn also ein Sektor Einkommen erzielt, dann nur deswegen, weil ein anderer Sektor Ausgaben getätigt hat. […]
Autor: Dirk Ehnts
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