Nach unserer Ansicht wird die Finanzierung des Staates in den meisten Lehrbüchern falsch dargestellt. Das liegt vor allem daran, dass die besondere Rolle, die dem Staat als Schöpfer des Geldes zukommt, ignoriert wird. Es wird nicht zwischen Währungsherausgeber und Währungsnutzer unterschieden. Der Begriff der „Finanzierung“ wird dabei zur Nebelkerze.
Stattdessen wird pauschal das Bild der „schwäbischen Hausfrau“ bemüht. Die schwäbische Hausfrau muss erst Einnahmen erzielen, bevor sie Ausgaben tätigen kann. Ein sparsamer Umgang mit Geld ist zudem eine Tugend für sie. Schulden sind stets zu vermeiden. Dieses Bild ist allerdings irreführend und verblendet die monetären Zusammenhänge moderner Volkswirtschaften. Ein kurzer Einführungstext.
Ein Blick in das Lehrbuch
In den Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre (VWL) werden drei Arten der Staatsfinanzierung angerissen. Der erste, und implizit beste Weg, sei eine Finanzierung der Staatsausgaben durch Steuereinnahmen. Die zweite Möglichkeit ist die Ausgabe von Staatsanleihen. Hier würden die Einnahmen mittels steigender Verschuldung erzielt. Das ist dann nicht mehr so gut. Hier geht die Augenbraue des klassisch ausgebildeten Ökonomen bereits hoch. Er sorgt sich um die Nachhaltigkeit der Staatsschulden. Die dritte und letzte Möglichkeit ist ein Tabu und veranlasst zum Erheben des Zeigefingers: Der Staat schmeißt die Notenpresse an und druckt sich das Geld einfach selbst. Dies führe direkt oder indirekt in die Hyperinflation und die Währung damit in die Vertrauenskrise.
Ein Blick durch die MMT-Brille
Der Kontrast zur MMT könnte nicht größer sein. Schaut man sich das Ganze durch die analytische Brille der MMT an, wird schnell klar: Für einen Währungsherausgeber sind Option 1 und 2 logisch nicht möglich. Lediglich Option 3, die „Notenpresse“, beschreibt die Reihenfolge von Ausgaben und Einnahmen korrekt.
Genau wie ein Kino seine Tickets erst erzeugt und ausgibt, bevor diese beim Kinoeintritt wieder eingezogen und entwertet werden, muss der Staat seine Währung über Ausgaben oder Zentralbankkredite in Umlauf bringen. Erst dann können Währungsnutzer damit Steuern bezahlen oder Staatsanleihen kaufen. Das gilt unabhängig vom institutionellen Set-Up. Mit Staatsausgaben wird jedes Mal neues Geld in den Wirtschaftskreislauf injiziert, mit Steuerzahlungen wird Geld herausgezogen. Wenn Ausgeben vor Einnehmen kommt, dann können Steuerzahlungen und Verkäufe von Staatsanleihen logischerweise nicht notwendig sein, um Staatausgaben zu tätigen. Im Gegensatz zu unserem eigenen Privathaushalt sind die Ausgaben eines Währungsherausgebers also nicht durch Einnahmen begrenzt. Stattdessen sind die Ausgaben eines Währungsherausgebers ökonomisch durch die verfügbaren realen Ressourcen, z.B. Arbeitskraft oder Rohstoffe, und politisch durch selbst auferlegte Regeln, z.B. Defizit- oder Schuldengrenzen, beschränkt.
Von wegen Gelddrucken: Die Excel-Tabelle der Zentralbank
Als Könige noch Münzen prägten und diese dann über Steuerzahlungen wieder einsammelten, war die Reihenfolge noch deutlicher ersichtlich. Heute verfügt jeder moderne Staat über eine eigene Zentralbank. Sie wickelt dessen Zahlungen ab und hat zudem in Sachen Geldpolitik den Hut auf. Die meisten Prozesse laufen digital ab und sind daher weniger transparent als die Münzprägung und die Notenpresse. Doch auch heute gilt: Eine Zentralbank muss keine Einnahmen erzielen, bevor sie Ausgaben tätigt. Am besten stellt man sich das Kontensystem der Zentralbank als Excel-Tabelle vor. Sie kann die Guthaben der Konteninhaber einfach erhöhen (verringern), indem sie Einträge in ihre eigene Exceltabelle tätigt (löscht). Dies passiert beispielsweise, wenn die Regierung Ausgaben tätigt und die Zentralbank anweist, das Zentralbankkonto des Zahlungsempfängers zu kreditieren. Gleicherweise passiert es, wenn Banken sich bei der Zentralbank per Kredit zusätzliche Zentralbankguthaben (sog. Reserven) leihen. Die neuen Reserven werden dem Konto gutgeschrieben, indem „+ Betrag X“ an der entsprechenden Stelle in der Excel-Tabelle eingetragen und so der jeweilige Kontostand erhöht wird.
Einträge in einer Exceltabelle sind bekannterweise unbegrenzt möglich ― solange die Rechnerkapazität mitspielt. Einer Zentralbank kann also aus technischer Sicht das Geld nicht ausgehen. Solange es in der Zentralbank vernünftige Rechner und technikaffine Mitarbeiter gibt, der per Mausklick Einträge in die Excel-Tabelle vornehmen können, ist die technische Fähigkeit zur Geldschöpfung durch die Zentralbank nicht begrenzt.
Der ehemalige Vorsitzende der amerikanischen Zentralbank, Alan Greenspan, machte während einer Sitzung im Repräsentantenhaus zur Zukunftsfähigkeit des Rentensystems diese passende Aussage:
„Ich würde nicht sagen, dass die zukünftigen Rentenzahlungen unsicher sind, da es nichts gibt, was den Staat davon abhält, beliebig viel Geld zu schöpfen und es an jemanden auszuzahlen. Die relevante Frage ist, wie konstruieren wir ein Wirtschaftssystem, das die Produktion der benötigten realen Güter, die mittels Renteneinkommen gekauft werden, sicherstellt?“
Alan Greenspan
Finanzierungsbegriff als Nebelkerze
Der Begriff der „Finanzierung“ impliziert eine Mittelherkunft für die staatlichen Ausgaben. Eine Mittelherkunft kann es aber erst geben, nachdem das Geld geschöpft wurde. Der Währungsherausgeber hat das Monopol über die Schöpfung, die Währungsnutzer müssen sich um die Mittelherkunft kümmern. „Schöpfung“ bedeutet in dem Sinne, dass neue Einträge in der Excel-Tabelle vorgenommen werden. „Finanzierung“ hingegen bedeutet, dass Einträge von einer Zelle in eine andere verschoben werden. Von „Staatsfinanzierung“ zu sprechen ist also im Kontext von Staaten, die ihre eigene Währung herausgeben, irreführend. Es impliziert eine Knappheit an Geld und eine finanzielle Notwendigkeit des Staates, geeignete Einnahmequellen zu finden.
Nur wer die richtigen Fragen stellt…
…kann auch vernünftige Antworten finden. In Sachen Makroökonomie und Wirtschaftspolitik ist es unabdingbar, das Geldsystem und die monetären Zusammenhänge moderner Volkswirtschaften verstehen. Wenn das gelingt, offenbaren sich ganze neue Lösungsansätze, um die gesellschaftliche Probleme ― von Klimakrise bis Ungleichheit ―zu lösen.
Die Lehrbücher der VWL sind dabei wenig hilfreich. Sie vertauschen bei diesem Thema die Rollen von Schöpfer des Geldes und Nutzer des Geldes. Dadurch wird Geld per se als knappe Ressourcen dargestellt und der finanzielle Handlungsspielraum chronisch unterschätzt. Ein Blick durch die Linse der MMT deckt das auf.
Autor: Dirk Ehnts, Maurice Höfgen
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