Liebe Leserinnen und Leser,
hier nun der erste reguläre Newsletter. Neben wirtschaftspolitischen Einordnungen gibt es eine Videoempfehlung und Verweise auf unsere neuen Artikel. Diskutiert werden kann das Ganze dann am besten und sehr gerne in der Facebook-Gruppe.
Viel Spaß mit dem Newsletter!
Herzlich,
Maurice und Dirk
PS: Das Buch Mythos Geldknappheit ist am 17. September erschienen und sollte bei getätigter Vorbestellung Anfang der Woche im Briefkasten liegen. Na endlich!
PPS: Empfehlt den Newsletter gerne weiter! 🙂
Jens Weidmann im Finanzausschuss
Das Urteil des BVerfG zum Anleihekaufprogramm der EZB wurde als Anlass gesehen, einen geldpolitischen Dialog zwischen dem Parlament und der Bundesbank einzuführen. Zu diesem Zweck stellte sich der Präsident der Bundesbank, Jens Weidmann, am Mittwoch den Fragen der Abgeordneten aus dem Finanzausschuss.
Dabei wurde er allen voran nicht müde, zu betonen, dass die eine expansive Geldpolitik, etwa in Form groß angelegter Anleihekaufprogramme, keine Staatsfinanzierung durch die Hintertür werden dürfe. Sonst würde der Anreiz für solide Haushaltspolitik geschwächt. Dabei verkennt er zwei Dinge. Zum einen werden die Staaten natürlich ohnehin durch die EZB finanziert, denn die Banken können die Staatsanleihen auf dem Primärmarkt ohnehin nur mit Zentralbankgeld kaufen. Das kommt einzig und allein von der EZB. Zum anderen vergisst er, dass die „Haushaltsdisziplin“ von den fiskalischen Regeln, etwa den Defizit- und Schuldenkriterien abhängt und nicht von der Methode, mit der die Euroländer ihre Staatskonten bei der Zentralbank füllen.
Über das Anleihekaufprogramm PEPP hält die EZB derzeit die Zinsaufschläge auf Staatsanleihen in Schach. Normalerweise hält sich die EZB bei den Käufen an den sog. Kapitalschlüssel und das sog. Issuerlimit. Beide legen – vereinfacht gesagt – fest, wie viele Anleihen pro Land die EZB in die eigene Bilanz nehmen darf. Im PEPP hat sie angekündigt, diese selbst auferlegte Regel notfalls zu brechen. In der Tat hat die EZB während der Coronakrise über verhältnismäßig viele spanische und italienische Anleihen gekauft. Das hängt damit zusammen, dass die Länder ohnehin, aber durch die Pandemie besonders zu kämpfen hatten. Sie hat aus den Fehlern der Finanzkrise gelernt, mag man meinen. Doch Weidmann sieht das kritisch und verkündete, dass er fordert, die Anleihebestände bei der EZB nach der Krise wieder so anzupassen, dass die Regeln eingehalten werden. Übersetzt: spanische und italienische Anleihen abstoßen. Das bewirkt genau das Gegenteil zum derzeitigen PEPP-Programm. Würde die EZB die Anleihen abstoßen, besteht die Gefahr, dass die Zinsaufschläge steigen und den Ländern fiskalisch die Luft abschnüren.
Ebenso kritisierte Weidmann die europäischen Anleihen, die die EU-Kommission zwecks Wiederaufbauprogramm begeben wird. Er befürchtet eine „Schuldenillusion“. Es sei ja klar, dass irgendwer für die Schulden wird aufkommen müsse, sagt er. Nur weil EU-Kommission drauf stünde, seien die Schulden ja nicht nicht-existent. Daher, so die Schlussfolgerung, hätte er die nationale Schuldenaufnahme bevorzugt und für höhere Beiträge zum EU-Haushalt plädiert. Zoomt man für einen Moment heraus, wird deutlich: Die gesamte Debatte ist verzerrt. Die EZB kann Euros gratis erzeugen. Euros, die dringend für die Krisenbewältigung benötigt werden – sowohl für die Pandemie als auch für die Klimakrise. Doch die ganze Eurozone zankt sich über „Finanzierungswege“ und appelliert an ökonomische Mythen der Geldknappheit. Auch die Anleihen, die die Kommission ausgeben wird, werden natürlich mit EZB-Guthaben gekauft. Anders geht es nicht. Ob dafür der Umweg über den Kapitalmarkt gegangen wird oder die EZB gleich auf dem Primärmarkt mitmischt, was ihr gemäß der Regeln ja untersagt ist, macht funktional kaum einen Unterschied.
Plenumsdebatte zu Niedrigzinsen und Geldpolitik im Bundestag
Aufgrund eines Antrages der AFD fand am Freitag eine Debatte zur Geldpolitik der EZB statt. Darüber wird nun wahrlich nicht aller Tage im Plenum diskutiert. Ausgangspunkt der AFD war die das alte Lied über die Enteignung der Sparer aufgrund von Niedrig- und Negativzinsen. Die AFD bezieht sich dabei auf den negativen Einlagezins in Höhe von -0,5%, mit dem Guthaben belastet werden, die Geschäftsbanken in der sog. Einlagefazilität der Zentralbank halten. Der Negativzins ist eine kostenseitige Belastung der Banken und führt dazu, dass die Banken die Kosten in Form von Senkungen der Sparzinsen für Kundeneinlagen weitergeben. Schaut man sich die offiziellen Daten der EZB an, wird deutlich, dass die nominalen Sparzinsen für Kundeneinlagen durch die Niedrigzinspolitik der EZB zwar mächtig gedrückt wurden, allerdings auf breiter Front noch nicht ins Negative gerutscht sind. Sehr hohe Giroguthaben ab 100.000 € stellen hier die Ausnahme dar. Schaut man sich die Realzinsen an, also die nominalen Zinsen abzüglich der Inflation, zeigt sich, dass negative Realzinsen uns schon länger begleiten. So viel zur Einordnung.
Nun zur Plenumsdebatte. Sie zeigt exemplarisch, dass es um ein Verständnis des Geldsystems und der monetären Zusammenhänge in der Politik nicht besonders gut bestellt ist. Ohne auf die einzelnen Beiträge der Parteien einzugehen, die unter diesem Link hier abgespielt werden können, hat die Debatte drei verbreitete Missverständnisse gezeigt, die wir kurz geraderücken möchten.
Erstens: Wir haben ein zweistufiges Geldsystem. Während wir als Privatpersonen Konten bei Geschäftsbanken unterhalten, unterhalten Banken wiederum Konten bei der Zentralbank. Das Missverständnis wird im Antrag der AFD deutlich. Dort heißt es: „Der Negativzins soll die Banken anreizen, Geld nicht bei den Zentralbanken zu lagern, sondern für vermehrte Kreditvergaben zu nutzen […]“. Da wir als Privatpersonen gar keine Konten bei der Zentralbank halten, können Banken auch keine Zentralbankguthaben an Privathaushalte und Unternehmen weiterverleihen. Die Kreditschöpfung ist im weitesten Sinne unabhängig von Kundeneinlagen und Zentralbankguthaben. Hier sei auf den viel beachteten Monatsbericht der Bundesbank verwiesen.
Zweitens: Die Ursachen der Niedrigzinspolitik werden nicht hinterfragt bzw. verstanden. Seit Jahren verfehlt die EZB ihr Inflationsziel, weil die Wirtschaft nicht ordentlich ans Laufen kommt. Die Realität zeigt, dass es Geldpolitik alleine aber nicht richten kann. Wenn es gesamtwirtschaftlicher Nachfrage fehlt, dann muss die Fiskalpolitik auf die Bühne. Genau das haben diverse Zentralbanker schon öffentlich gefordert. Der Punkt ist: Solange Unternehmen nicht erwarten, dass sie mehr Umsatz machen können, werden sie auch keine Kredite aufnehmen, um in die Ausweitung der Produktionskapazitäten zu investieren. Wer also über Niedrigzinsen klagt, der muss auch über mangelnde Impulse aus der Fiskalpolitik klagen. Genau das fällt allerdings vor allem der CDU und der FDP schwer, wie die Redebeiträge zeigen.
Drittens: Die Zentralbank ist in voller Kontrolle über das Zinsniveau. Sie setzt die kurzfristigen Zinsen einfach per Entscheid auf dem von ihr gewünschten Niveau fest. Alle anderen Zinsen passen sich dann daran an – die Bankzinsen, die Zinsaufschläge für Staatsanleihen ebenso wie die Preise anderen Finanzmarktpapiere. Darüber hinaus kann die Zentralbank über den An- und Verkauf von Anleihen die Renditen auf dem Kapitalmarkt beeinflussen. Das scheint allerdings nicht sonderlich geläufig zu sein, denn immer wieder wurde der sog. „natürliche Zins“, der außerhalb des Einflusses der Zentralbank läge, ins Spiel gebracht. Sowohl Herr Weidmann im Finanzausschuss als auch die Grünen in ihrer Rede bezogen sich auf dieses Konzept und suggerierten, dass die EZB hier nicht die Zügel in der Hand hielte. Dabei ist der natürliche Zins ein unbrauchbares Textbuchartefakt, das auf einem falschen Verständnis des Geldsystems beruht. Der Zins auf dem sog. „Geldmarkt“ ist nicht von (knappem) Geldangebot und Geldnachfrage abhängig. Schließlich ist das Geldangebot theoretisch unendlich. Wie sollen Angebot und Nachfrage zu einem Preis (Zins) führen, wenn das Angebot unendlich ist? Daher hilft das Bemühen struktureller Faktoren, wie etwa der alternden Gesellschaft, was mit höherem Sparverhalten einhergeht, eben nicht, um das gegenwärtige Zinsniveau zu erklären. Der Zins ist eine von der Zentralbank kontrollierte Steuerungsgröße und kein „besonderer äußerer Umstand“. Und der Zins ist niedrig, weil EZB ihr Inflationsziel verfehlt, was wiederum an der schlechten Konjunktur in der Eurozone liegt.
Japan: Keine Limits für die Ausgabe von Staatsanleihen
Spannende Töne erreichen uns aus Japan: Der neue Premierminister Japans, Yoshihide Suga, sagte laut Reuters kürzlich, dass es kein Limit für die Emission von Staatsanleihen gäbe. Damit bestätigt er das, was die Vertreter der MMT schon seit langem sagen. Sofern eine Regierung Staatsanleihen in eigener Währung erzeugt, kann sie dies in unbegrenzter Menge tun und diese auch verkaufen. Im Zweifelsfall kann sie die Staatsanleihen – je nach politischen Regeln – direkt an die Zentralbank verkaufen oder den (Um)Weg über die Banken gehen. Führt der Weg über die Banken, dann leihen sich diese das notwendige Geld (technisch korrekt: Reserven) von der Zentralbank und kaufen damit die Staatsanleihen. Wenn die Regierung schließlich die Staatsausgaben tätigt, für die sie Anleihen verkauft hat, fließt das Geld (die Reserven) zurück in den Bankensektor und dieser ist in der Lage, seine Kredite bei der Zentralbank zu tilgen. In Japan steht die Zentralbank zudem bereit, den Banken die Staatsanleihen in großem Umfang abzukaufen und in die eigene Bilanz zu nehmen. Die Banken verdienen üblicherweise mit einem kleinen Aufpreis daran. Suga möchte wohl betonen, dass die japanische Regierung die Staatsausgaben weiter erhöhen wird, um die Nachfrage der Wirtschaft zu stabilisieren. Wenn Unternehmen ihre Güter und Dienstleistungen nicht verkaufen können, weil die Haushalte und das Ausland zu wenig Geld ausgeben, muss der Staat mit höheren Ausgaben einspringen. Nur so kann er verhindern, dass die japanischen Unternehmen einen Teil ihrer Belegschaft in die Arbeitslosigkeit entlassen. Mit kleineren Unterbrechungen wird diese Art der Wirtschaftspolitik in Japan bereits seit Jahrzehnten betrieben. Das Ergebnis? Diese Politik führt weder zu Hyperinflation noch zu einem Absturz des Yen gegen Euro und Dollar. Der Fall Japan macht deutlich, dass der Staat einen viel größeren Spielraum hat, als gemeinhin angenommen, wenn es darum geht, die Wirtschaft auf Kurs Vollbeschäftigung zu halten. Die Realität zeigt, dass das auch ganz gut funktioniert: Im Juli 2020 betrug die Arbeitslosenquote in Japan nur 2,9%.
Green New Deal: Die alte Geschichte einer neuen Idee
Dr. Michael Paetz hat im Rahmen eines Seminars an der Universität St. Gallen einen Vortrag über den Green New Deal und die MMT gehalten, der sowohl einen anschaulichen Überblick über einige Grundlagen der MMT bietet als auch auf die gängigsten Kritikpunkte eingeht. Vor allem für diejenigen, die neu in das Thema einsteigen empfehlenswert!
Warum die Zinsen eine kontrollierbare Steuerungsgröße sind
Für die Nerds unter uns, die sich auch durch englischsprachige Literatur wuseln, sei im Kontext der Diskussion um „Tragfähigkeit von Staatsschulden“ und der expansiven Geldpolitik der Zentralbanken auf das neuste Papier von Scott Fullwiler verwiesen: „When the Interest Rate on the National Debt Is a Policy Variable (and “Printing Money” Does Not Apply)„.