Die Corona-Krise hat das neoliberale Diktat der Schuldenbegrenzung untergraben. Jetzt ist die Zeit für staatliche Investitionen in einen starken Green New Deal, der Nachhaltigkeit und Gemeinwohl ins Zentrum stellt. Das Geld ist da.
Die durch die Covid-19 Pandemie bedingte Wirtschaftskrise hat eine Situation geschaffen, die alte Regeln ins Wanken bringt. Lang hochgehaltene Dogmen wie die schwarze Null und die »schwäbische Hausfrau« werden angefochten, während die Zentralbank mit Ankaufprogrammen in Höhe von Hunderten von Milliarden Euro aufwarten. Die EU-Kommission lächelt gütig aus Brüssel herüber – die Defizitgrenzen sind für dieses und nächstes Jahr aufgehoben. Von der »fiskalischen Nachhaltigkeit« scheint man sich verabschiedet zu haben. Sogar die konservativen Tories haben die Industriepolitik wiederbelebt und fordern, dass der Staat den Unternehmen tatkräftiger unter die Arme greift. Die EU-Kommission hat mit ihrem »Green Deal« auf den Green New Deal reagiert, der von progressiver Seite seit mehr als zehn Jahren gefordert wird. Das liberale Wirtschaftsmagazin The Economist schlägt vor, die Höhe der erlaubten staatliche Defizite an der aktuellen Arbeitslosigkeitsrate festzumachen. Der Paradigmenwechsel so scheint es, kommt vielleicht doch schneller, als sich das viele vorstellen können. Notwendig ist dieser allemal, denn der Klimawandel lässt sich nur noch in diesem Jahrzehnt effektiv bekämpfen. Wir können es uns nicht länger leisten, nichts zu tun.
Wenn also die vermeintlich unumstößlichen Wahrheiten von gestern keine mehr sind, auf welcher theoretischen Grundlage wird dann die Politik von morgen gemacht? Die Begrenzung der Staatsausgaben wird dieser Tage theoretisch wie auch politisch revidiert. Die aktuelle Rezession hat wieder einmal sehr deutlich gezeigt, dass sich in der Krise die Unternehmen an den Staat wenden. Dieser wiederum wendet sich aber nicht an »die Steuerzahler«, sondern an Brüssel und Frankfurt. Augenscheinlich ist es also ein Mythos, dass sich die Staatsausgaben über Steuern finanzieren. Unser Geld kommt von der Europäischen Zentralbank, die ein Monopol auf die Ausgabe von Euros hat. Nur sie darf Bargeld und Zentralbankguthaben in Euro in Umlauf bringen. Da Staaten immer über ihre nationalen Zentralbanken Geld ausgeben, kann das von Banken erzeugte Giralgeld – ein Zahlungsversprechen in Euro – die Ausgaben der Bundesregierung nicht finanzieren.
Ein rascher Gesinnungswechsel
Ein Blick zurück: Am 13. März 2019 befragte die Initiative on Global Markets (IGM) der Universität Chicago Expertinnen und Experten von renommierten Universitäten wie dem MIT, Havard, Yale oder Berkeley zu folgender Aussage: »Länder, die Kredite in ihrer eigenen Währung aufnehmen, sollten sich keine Sorgen über Staatsdefizite machen, da sie immer Geld zur Finanzierung ihrer Schulden schaffen können«. Die Reaktion der Runde war eindeutig: Alle hielten dieses Statement, das der Modern Monetary Theory (MMT) zugeordnet wurde, für strittig. Diese Einhelligkeit überrascht, da die MMT außerhalb der akademischen Ökonomik durchaus namhafte Fürsprecherinnen und Fürsprecher hat. So können etwa die EZB-Präsidenten Mario Draghi und Christine Lagarde der MMT etwas abgewinnen, ebenso wie der Herausgeberkreis des Wall Street Journaloder auch Teile der Finanzindustrie. In der Politik war die MMT ebenfalls prominent vertreten. So ermutigte nicht zuletzt Alexandria Ocasio-Cortez Journalistinnen und Journalisten dazu, sich mit moderner Geldtheorie zu beschäftigen. MMT-Ökonomin Stephanie Kelton, deren Buch The Deficit Myth in den USA sofort zum Bestseller wurde, beriet Bernie Sanders in ökonomischen Fragen.
Ein Jahr später erzeugt die Covid-19 Pandemie einen heftigen Abschwung in der Weltwirtschaft, auch die Steuerzahlungen an den Staat kollabieren. Das Staatsdefizit der US-Regierung für das fiskalische Jahr 2020 betrug rund 3.000 Milliarden Dollar und war damit etwa dreimal so hoch wie noch 2018. Doch niemand stellt die Frage, ob die US-Regierung ihre Rechnungen bezahlen kann – denn das kann sie. Entscheidend ist vielmehr, wie viel wofür ausgegeben wird. Schließlich sind die Ressourcen – Arbeitskräfte, Energie, Rohstoffe, Maschinen, Gebäude – begrenzt. Die Wirtschaft wird durch die verfügbaren Ressourcen, nicht durch das verfügbare Geld, bedingt.
Diese Einsicht ist vor allem der Modern Monetary Theory zu verdanken, einer empirisch belegbaren Geldtheorie, die Mitte der 1990er Jahre entworfen und seitdem weiterentwickelt wurde. Sie beschäftigt sich mit der Beschreibung der Geld- und Kreditschöpfung bei Staat und Banken. Aus den so gewonnenen Erkenntnissen können wirtschaftspolitische Schlüsse gezogen werden, die im Gegensatz zu denen der Initiative on Global Markets auch den Entwicklungen der Realität standhalten. […]
Autor: Dirk Ehnts
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